Sa. 2.Juni 20:00 -- Murer - Anatomie eines Prozesses
Österreich/Luxemburg 2018
Regie: Christian Frosch / Drehbuch: Christian Frosch
Mit: Alexander E. Fennon, Karl Fischer, Roland Jaeger, Mathias Forberg, Melita Jurisic , Erni Mangold, Karl Markovics
Graz 1963. Vor Gericht steht der ehemalige SS-Führer Franz Murer, Leiter des Ghettos von Vilnius von 1941-43. Holocaust-Überlebende reisen an um gegen Murer auszusagen. Die Beweislage ist erdrückend. Dennoch wird Franz Murer unter Beifall der Bevölkerung freigesprochen. Einer der größten Justizskandale Österreichs. MURER erzählt von der Machtlosigkeit der Wahrheit – und wie leicht Politik jenseits moralischer Werte agieren kann – wenn alle mitspielen.
OÖN 17.03.2018 Bewertung: ******
Dem demokratischen Prinzip folgend, soll die Justiz die Wertehaltung der Bevölkerung spiegeln.
Diesem Auftrag folgte sie offenkundig 1963 im Grazer Schwurgerichtsprozess gegen den zahlreicher NS- Gräueltaten angeklagten Franz Murer. Eine Gemengelage aus fehlgeschlagener Entnazifizierung, aus latentem Antisemitismus, aus Schlussstrich-Mentalität und aus Wiedereinstellung von "Ehemaligen" in die Justiz führte zum erwartbaren Freispruch trotz massiver Belastungsbeweise. Das offizielle Eingeständnis österreichischer Mitschuld am Terror des NS-Regimes lag noch in ferner Zukunft. Der jüngste Film über den Fall Murer untertreibt, wenn er sich mit "Anatomie eines Verfahrens" betitelt. Er seziert den Zustand der österreichischen Justiz in den 1960ern.
Hochintelligent, unter erkennbarer Anleitung durch Sachkundige, schnörkellos, wie sich ja auch die Justiz meist gibt. Die Dialoge abseits des Verhandlungsverlaufs berühren, nein erschüttern, ganz so wie die Schilderungen der Zeugen im Gerichtssaal. Schlüsselszene – wenn es denn überhaupt wichtige und weniger wichtige Sequenzen gibt – ist das Gespräch Justizministers Broda mit einem Redakteur der AZ. Der widerwärtige Pragmatismus des machtversessenen Politikers, dem Prinzipientreue wenig, Wählerstimmen aber alles ist, wird lehrstückhaft ausgedrückt. Dass der schwarze Koalitionspartner noch gründlicher und unverhohlener im faulen Wasser der Alt- und Immer- noch-Nazis erfolgreich fischt, bleibt nicht ausgespart.
Die Darsteller? Alle überzeugend.
Alexander Fennon gelingt der bis an die Grenze des Erträglichen perfid agierende Verteidiger ausnehmend gut. Karl Fischer als Murer besticht mit dem Minenspiel dessen, der seine Täterschaft mit dem Mantel des Vergessens umhüllt. Das pädagogische Potenzial dieses Films wird hoffentlich erkannt werden. Mag es auch schon viel Material über die NS-Zeit geben, so existiert zur Passion österreichischer Aufarbeitungskultur noch wenig. Auch das macht das Außergewöhnliche des Films aus.